Person - Franz Wilhelm Poppenwimmer
Franz Wilhelm Poppenwimmer, Kinobesitzer, Mitbegründer der sozialdemokratischen Bewegung in
Floridsdorf,
Initiator der "Arbeitersängerbundes
Donaufeld" (1889), der "Arbeiter-Radfahrer" in Donaufeld und der Floridsdorfer Naturfreunde,
Herausgeber des sozialdemokratischen Lokalblattes "Der Wähler",
* 1863, † 04.06.1918, Bestattungsdatum: 07.06.1918, zuletzt wohnhaft
21., Angererstraße 16.
Ehrungen:
Silbernes Gedenkzeichen der zwanzigjährigen Gründungsmitgliedschaft der Naturfreunde.
Poppenwimmergasse im Bezirksteil
Jedlesee, 1927 benannt nach Franz Poppenwimmer.
Arbeiter Zeitung vom 6.6.1918, Seite 5:
Einer der ältesten
Floridsdorfer Genossen, Franz
Poppenwimmer, ist gestorben. In ihm war ein gutes
Stück örtlicher und der Parteigeschichte überhaupt verkörpert.
Aus einer gut bürgerlichen Familie — im alten Mühlschüttel
gehörten die Poppenwimmers zu den Patriziern der Schiffmüllergilde —
stammend, erlernte er, einem Familienherkommen
folgend, das Bäckergewerbe. Die
Donauregulierung mit ihren
wirtschaftlichen Umwälzungen legte das einst so blühende und
ertragreiche Gewerbe der Schiffmüller am Mühlschüttel vollständig
lahm und die meisten von den Betroffenen konnten
nur Bruchstücke von ihrem Hab und Gut retten. Sie mußten
sich anderen Erwerbszweigen zuwenden. So ist
auch die erbgesessene Familie Poppenwimmer auseinandergegangen.
Der Bäckergehilfe Poppenwimmer im
Jahre 1862 [1863!] geboren, war in den Achtzigerjahren
zur Zeit des Ausnahmszustandes kaum 23 Jahre alt. Er
diente mit Feuereifer in den Reihen der Radikalen der
jungen Parteibewegung. Als man nach den Attentaten Stellmachers
und Kammerers nach deren Helfershelfern fahndete, da
zog man auch Poppenwimmer in den Kreis der Verdächtigen und
er kam in Polizeigewahrsam. Er gehörte zu jenen, denen man
weder mit einem Prozeß noch mit der Ausweisung beikommen
konnte, und er wurde daher in seiner Heimatsgemeinde
Leopoldau interniert und unter Polizeiaufsicht gestellt. Ueber
die Grenzen des
Floridsdorfer Polizeirayons hinaus durfte er
nicht gehen. Gegen Wien zu war die Grenze der Steg der
über die
alte Donau unter dem Nordbahnbrückenbogen führte,
der aus übriggebliebenen Quadern der Brückenpfeiler von Fußgehern
selbst gemacht wurde. Bis dorthin konnte Poppenwimmer
seinen Wiener Freunden das Geleite geben. Dabei
war er aber sicher, daß in einem Abstand von hundert Meter
ein Geheimer folgte. Von diesen seinen Leiden als Internierter
hat er oft erzählt.
Als nach Aufhebung des Ausnahmszustandes die Vereinstätigkeit
wieder anfing, war Poppenwimmer die Seele der
ganzen Bewegung in
Floridsdorf. Um ihn scharte sich alles,
was zur Partei gehörte. Nach seiner Verheiratung mit der
jungen Arbeiterin Sophie Friedl, die ihm durch mehr als
dreißig Jahre treu zur Seite stand und deren rastloser Arbeitsfreude
es auch zu danken ist, daß Poppenwimmer sozusagen
in der Partei aufgehen konnte, ließ er sich in der Angererstraße
als Gemischtwaren- und Zeitungsverschleißer nieder. Von da
an waren durch lange Jahre hindurch der Laden und die
Wohnung Poppenwimmers der Mittelpunkt des Parteilebens
und es gab keine Parteigründung, an der nicht Poppenwimmer
beteiligt gewesen wäre. Der Arbeiterbildungsverein,
der Arbeitersängerbund
Donaufeld, der Arbeiterradfahrerklub, der Verband
der Arbeitervereine
Floridsdorfs, der politische Wahlverein,
die Parteiblätter „Der Wähler" und „Der Volksbote"
als deren Herausgeber Poppenwimmer zeichnete, die Wahlkreisorganisation
für den achten Reichsratswahlkreis die Ortsgruppe
der „Naturfreunde", alle erblickten das Licht der Welt in
seinem Laden. Da er alle Parteiblätter (deutsche und
tschechische) in seinem Verschleiß hatte, war bei der damaligen
Konfisationspraxis die Polizei täglich bei ihm zu Gaste und
die Hausdurchsuchungen standen an der Tagesordnung. Dabei
wirkte Poppenwimmer immer in der selbstlosesten Weise. Mit
seinen Mitteln sprang er ein, wo es galt, Hilfe zu leisten.
Nicht vergessen werden darf, wie er streikenden Arbeiterinnen
der Jutespinnerei wochenlang mit Kredit ausgeholfen hat und
dabei beträchtliche Verluste erlitt.
Nach Gründung der Konsumvereine wollte er sich eine
andere Existenz gründen und er lernte durch zwei Jahre an
der graphischen Lehranstalt in Wien photographieren. Er
richtete sich dann ein photographisches Atelier ein. Das Unternehmen
glückte aber nicht wie so manches andere, was er
unternahm, und so ging er rasch entschlossen auf einige Zeit
nach Amerika, um sich dort umzusehen. Er wollte immer seine
vollste Unabhängigkeit bewahren. Inzwischen kämpfte seine
energische Frau Sophie den Kampf durch und als er von
Amerika zurückkehrte, fand er wieder bessere Verhältnisse und
wendete sich der damals aufstrebenden Kinematographie zu.
Da er vom Fach war, gelang es ihm auch, nach schweren
Kämpfen und nach Ueberwindung vieler Schwierigkeiten eine
Konzession zu bekommen, und er gründete ein Kinotheater. Die
Sorgen um das junge Unternehmen nahmen ihm viel von
seiner ursprünglichen Spannkraft und Lebhaftigkeit. Der übersprudelnde
Humor Poppenwimmers war sprichwörtlich, sein köstliches
Lachen konnte alle Zaghaften und Verdrossenen besiegen.
Seit Jahren nagte ein tückisches Leiden (Krebs) an ihm; aber
selbst dieses Leiden konnte ihm seinen Frohsinn nicht rauben,
Er glaubte bis in die allerletzte Zeit nicht an den Ernst seines
Zustandes und schmiedete noch allerlei Pläne für die Zukunft.
Poppenwimmer war wiederholt Kandidat für den Gemeinderat
in der alten Gemeinde
Floridsdorf und er wurde nur deshalb
nicht gewählt, weil er immer in der Kurie der privilegierten
Steuerzahler kandidierte; unter Hansers Zeiten war er auch
Wahlmann für Hanser im Städtewahlkreis Korneuburg.
Von den „Naturfreunden" hatte er das silberne Gedenkzeichen der
zwanzigjährigen Gründungsmitgliedschaft. In seinen jungen
Jahren war er auch in der Organisation der Bäcker als
rühriges Mitglied tätig. Mit Poppenwimmer verliert die Partei
eine Stütze, die fest verankert war in den Tiefen der Parteibewegung.
Ehre seinem Angedenken! Das Leichenbegängnis
findet morgen Freitag um 4 Uhr nachmittags vom Trauerhause, Angererstraße Nr. 16, aus statt.
Neue Kino-Rundschau vom 8.6.1918, Seite 83:
Todesfälle.
Marie Wohlmut.
Franz Wilhelm Poppenwimmer.
Unsere Branche hat zwei überaus schmerzliche Verluste erlitten.
Der unerbittliche Tod hat zwei unserer
besten Kollegen, Frau Marie Wohlmut und wenige Tage später Franz
Poppenwimmer dahingerafft.
Frau Marie Wohlmut, die Mitbesitzerin und Leiterin des Imperial-Kinos
im ersten Bezirke war, ist in
der Nacht auf den Samstag der
vorigen Woche verschieden. Frau
Wohlmut, eine Dame von ausgezeichneten Eigenschaften des Herzens
und Charakters, erfreute sich in allen
ihren Bekanntenkreisen ungemeiner
Beliebtheit und die hohe Wertschätzung, die sie genoß, bewies die große
Teilnahme der Kollegenschaft an
ihrem Begräbnis, das am Dienstag
stattfand. Frau Wohlmut hatte
aber auch mit einer für eine Frau
geradezu überraschenden Energie stets
das Interesse unserer Branche wahrgenommen und ihrer gütigen Frauenart
entsprach es nur, daß sie sich
auch dem geschäftlichen „Konkurrenten“ entgegenkommend und
hilfsbereit zeigte. Kein Wunder also, daß
sie allenthalben in hohem Ansehen
stand. Daß kein Armer sie unbeschenkt verließ war ebenso selbstverständlich,
wie daß sie sich keiner
Wohltätigkeitsaktion entzog, zu der
sie eingeladen wurde. Geben war
ihr eben Herzenssache.
Den trauernden Hinterbliebenen
schlossen sich also, wie gesagt,
zahlreiche Leidtragende aus der
Branche an. Die Leichenfeier gestaltete sich sehr eindrucksvoll. Der
Kapellmeister des Imperial-Kinos, Herr
Sascha Popoff, ein hervorragender
Geigenvirtuose, spielte in der Kapelle
Chopins „Nocturno“ so meisterhaft,
daß alle Anwesenden tief gerührt
waren. Ergreifend war auch der
tiefempfundene Nachruf, den der
Pfarrer der
Schottenkirche der Verblichenen
widmete und der die Zuhörer zu Tränen rührte.
Das Andenken der Verstorbenen
wird bei allen, die jemals mit dieser
braven, trefflichen Frau, die allzufrüh
ihrer Familie und ihren Freunden
entrissen wurde, zu tun hatten, stets
hoch in Ehren bleiben.
Noch standen wir unter dem
tiefen Eindruck des Hinscheidens
der Frau Wohlmut, als uns die Nachricht traf, daß am Mittwoch Kollege
Franz Wilhelm Poppenwimmer
plötzlich vom Tode ereilt wurde.
Der Name Poppenwimmer wird
nicht nur in der Chronik unserer
Branche weiterleben, er ist mit ehernem Griffel in die Geschichte des
sozialdemokratischen Parteilebens eingeschrieben. Poppenwimmer hat
nur ein Alter von 56 Jahren erreicht.
Er war als junger Mann Bäckergehilfe. Sein Feuergeist stand in den
Achtzigerjahren unter dem Eindruck
der sozialistischen Bewegung und
bald war er einer der eifrigsten Vorkämpfer der klassenbewußten Sozialdemokratie.
Er gab sein Gewerbe auf und gründete, um sich intensiver
der Politik widmen zu können, ein
Gemischtwarengeschäft, in dem er
jedoch nicht nur leibliche Nahrung
sondern durch den Verschleiß der
Parteiblätter auch geistiges Brot an
seine Kunden abgab. Poppenwimmer versuchte sich dann in
anderen Berufen und unternahm auch
eine Tour nach Amerika. Seine Absicht, sich jenseits des großen Teiches
niederzulassen, führte er nicht aus,
und so kam er zu uns zurück und
wurde — Kinobesitzer. Brachte er
für dieses Gewerbe alle Vorbedingungen mit, da er auch gelernter
Photograph war, so fiel es ihm
— dem sozialistischen Parteigänger —
nicht leicht, eine Lizenz zu erhalten.
Die mustergültige Weise, in der
Poppenwimmer seinen Betrieb
führte, beweist, daß man ein
leidenschaftlicher Politiker und ein
anständiger Geschäftsmann zugleich
sein kann. Mögen seine politischen Anschauungen ihn auch von manchen
seiner Geschäftskollegen meilenweit
getrennt haben, so stand er doch treu
zur Sache des Kinowesens und betätigte sich in zielbewußter Weise
als Ausschußmitglied des Landesverbandes Wien-
Niederösterreich. So
steht unsere Branche trauernd an
seinem Grabe und vereint ihren
Schmerz um den Dahingeschiedenen
mit dem seiner Gattin Sophie und
seiner übrigen Angehörigen.
Das Begräbnis unseres unvergeßlichen Kollegen fand Freitag nach
mittags unter imposanter Beteiligung
der sozialdemokratischen Partei und
der Kollegen aus der Kinobranche
statt. Die feierliche Einsegnung er
folgte im Trauerhause, XXI, Angererstraße 16,
und in der
Pfarrkirche zu St. Jakob, worauf die Beerdigung im
Familiengrabe auf dem
Groß-Jedlersdorfer Friedhofe stattfand.
In tiefempfundenen Abschiedsreden wurde hier das Leben und
Wirken Poppenwimmers gewürdigt.
Weiters im Grab bestattet:
Sophie Poppenwimmer, geb. Friedl, * 30.12.1862, † 05.01.1946, Bestattungsdatum: 12.01.1946
Maria Butz, * 1897, † 11.05.1958, Bestattungsdatum: 28.05.1958
Leopold Fiala, * 1920, † 21.12.1976, Bestattungsdatum: 29.12.1976
Die Grabstelle (auf Friedhofsdauer) befindet sich am
Friedhof Großjedlersdorf (Gruppe: 8R, Reihe: 13, Nummer: 9).
Quelle: Text: www.nikles.net, Bilder: www.nikles.net,
Arbeiter Zeitung vom 6.6.1918, Seite 5,
Neue Kino-Rundschau vom 8.6.1918, Seite 83.