Wenige Tage vor dem heiligen Weihnachtsfeste des Jahres 
                    1226 befanden sich mehrere angesehene Bürger und Ratsherren 
                    der Stadt Wien in der Behausung des reichen Neidhard aus der 
                    wohledlen Bürgerfamilie der Pippinger. Sie saßen in der 
                    Prunkstube des Hauses beisammen und pflogen eifrige 
                    Beratung, wie man einer schweren Schädigung der 
                    Bürgerinteressen erfolgreich begegnen könne.
                    
                    "Und ich sage euch, so kann es nicht länger gehen!" warf 
                    unmutig Hans Kapeller, ein wohlhabender Kaufherr, ein. "Es 
                    muss anders werden, sollen wir nicht zusehen, wie allen 
                    Gewinn zugewanderte Leute einheimsen, indes wir selbst trotz 
                    redlichen Bemühens auf keinen grünen Zweig kommen können, 
                    trotzdem wir angestammte Wiener Bürger sind."
                    
                    "Er ist mit seiner Behauptung im Rechte!" bekräftigte Ulrich 
                    Stettinger, der Wildwerker. "Schaut nur das Treiben der 
                    Münzer an. Sind wir nicht durch sie ganz an die Wand 
                    gedrückt, seit ihnen der liebe Herzog seine alte Burg auf 
                    dem Hofe eingeräumt hat? Wer macht die einträglichsten 
                    Geldgeschäfte nun?"
                    
                    "Die Flandrenser!" riefen die übrigen wie aus einem Munde.
                    
                    "Was brauchen wir die Fremden, gar solche aus Flandern?" 
                    fuhr jener fort. "Das Münzgeschäft hätten wir Wiener auch 
                    verstanden. Dazu sind unsere Köpfe hell genug!"
                    
                    Und Kaspar Huber, der Goldschmied, fügte hinzu: 
                    "Bereitwillig schießen sie den Edelleuten zu niedrigem 
                    Zinsfuße ihre Summen vor, und wir können zusehen, wie wir 
                    die alten verbrieften Schulden, die jene in früheren Zeiten 
                    bei uns gemacht, hereinbringen. Wer bürgt uns überhaupt 
                    dafür, dass wir jemals wieder zu unserem Gelde kommen?"
                    
                    "Wir haben wahrlich der Welschen genug. Wer es nicht glaubt, 
                    der besehe sich die Wallachgasse. Man glaubt, rein in Babel 
                    zu sein, wenn man dort einhergeht, und nicht in Wien. Nette 
                    Wiener Bürger das!"
                    
                    So spöttelte Reginhart, ein Meister der Bäckerzunft und 
                    wohlweiser Ratsherr.
                    
                    "Nicht genug an dem", warf nun Pippinger ein, "dass sie bei 
                    uns ihren Wohnsitz aufgeschlagen, hat den Münzern am Hofe 
                    der liebe, viel zu gütige Herzog noch alle Rechte unserer 
                    Bürgerschaft zugesprochen und sie außerdem noch als seine 
                    'Hausgenossen' unter die herzogliche Gerichtsbarkeit 
                    gestellt. Ich sage euch, Freunde, sie tragen ihre Nasen 
                    deshalb so hoch, weil sie glauben, sie stünden deswegen über 
                    uns. Aber, bei Gott, ich will es nicht länger ertragen. 
                    Lasst nur die liebe Weihnachtszeit vorüber sein, dann will 
                    ich schon Wandel schaffen. Ich, der alte Pippinger, sage 
                    es!"
                    
                    Ein kleines, schmächtiges Männlein mit blitzenden Augen und 
                    langem Knebelbarte hatte bis nun geschwiegen. Das war 
                    Florian Buff, Vorsteher der Schneiderinnung. Er sprang auf 
                    und rückte ungestüm den schweren Eichensessel zur Seite, so 
                    dass die anderen verwundert, fast mit einem Lächeln um die 
                    Lippen, zu ihrem Freunde aufsahen.
                    
                    "Ich hab's, werte Genossen!" rief er, und eine Röte des 
                    Zornes flammte über sein blasses Gesicht. ?Wir liegen dem 
                    Herzog an und fordern, dass wir unsere Schulden bei Heller 
                    und Pfennig mit unnachsichtiger Strenge eintreiben dürfen! 
                    Haben wir unser gutes Geld, dann sind wir die Herren; denn 
                    wir können uns rühren und sind nicht mehr an gute Worte und 
                    scheinheilige Meinung anderer angewiesen. Und erreichen wir 
                    dies nicht gutwillig, dann alle Mann vor! Ich habe Mut!"
                    
                    Erregt schlug er mit seinem winzigen Fäustlein auf den Tisch 
                    und blickte siegestrunken umher, als fühlte er das 
                    Bewusstsein, den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben. Doch 
                    gleich seufzte er wehmütig auf: "Wenn's nur nicht unser 
                    lieber Herzog wäre! Aber das ist es ja, was uns die Hände 
                    bindet. Es gibt keinen Wiener, der ihn nicht wie einen Vater 
                    liebte. Da heißt es was, von Gewalt reden, wo ein einziger 
                    Blick aus seinen guten Augen uns zu seinen Füßen hinwirft!"
                    
                    "Wacker, Meister Buff, wacker!" So riefen seine Freunde und 
                    schmunzelten wohlgefällig, worauf Meister Pippinger sprach: 
                    "Ihr seid doch immer der Klügste unter uns, und an Eurem 
                    Mute ist nicht zu zweifeln. Was Ihr zuerst gemeint, das hat 
                    Hand und Fuß und das soll auch geschehen. Wie ich unseren 
                    Herzog kenne, liebt auch er seine Wiener von ganzem Herzen, 
                    und er wird es sicher erkennen, wo uns der Schuh drückt, und 
                    uns deshalb sicher ein williges Gehör schenken, wenn wir 
                    unsere Bitte ihm vortragen in gebührender Ehrfurcht. So 
                    unrecht hat Meister Buff nicht. Es ist ein alter Spruch: Das 
                    Geld macht den Mann. So aber richten wir uns zugrunde, wenn 
                    wir auf Zins und Summe schön warten und wie dumme Schäflein 
                    nachblicken, wenn uns die hergesiedelten Welschen die besten 
                    Brocken wegschnappen. Ja, ja, der Herzog muss helfen. Kommt 
                    Zeit, kommt Rat! Ich will die beste Gelegenheit ergreifen, 
                    ihm unsere Meinung beizubringen, sintemalen er wieder unter 
                    seinen Bürgern weilt. Seid ihr desselben Willens, ehrsame 
                    Freunde, so gebt es zu erkennen."
                    
                    "Freilich, Meister Pippinger, Ihr habt unser Vertrauen, und 
                    am besten unter allen von uns wisst Ihr eine Rede zu setzen. 
                    Sprecht nur, sobald Ihr den Augenblick für gekommen 
                    erachtet. Unserem Herzog wollen wir nicht wehe tun." So 
                    endete das wackere Schneiderlein die Beratung. Leichten 
                    Herzens trennten sich die wieder beruhigten Bürger, hatten 
                    sie doch den Weg gefunden, wie sie ihrer Notlage abhelfen 
                    konnten, und außerdem beglückte sie das Gefühl, dies zu 
                    erreichen, ohne den geliebten Herrscher zu betrüben oder den 
                    Frieden der Stadt, der ihnen wohl am meisten am Herzen lag, 
                    zu gefährden. Ja, ja, das gute, fürsorgliche Herz, heute 
                    nennt man es oft das goldene, besaßen die Bürger Wiens schon 
                    damals, aber auch den gerechten Stolz auf ihr verbrieftes 
                    Bürgertum.
                    
                    Reges Leben herrschte in den winkeligen und schmalen 
                    Straßen, die von kleinen, selten mehrstöckigen, aber stets 
                    hochgiebeligen Häusern gebildet wurden. Dennoch besaßen 
                    diese ein wohlgefälliges Äußeres, da die Baumeister es 
                    verstanden, durch Erkertürmchen und vorspringende Balkone 
                    diesen ein schmuckes Ansehen zu verleihen. Der Tag des 
                    Heiligen Abends war gekommen. Da ruhten die Gewerbe. In der 
                    Traibotenstraße, wo die Waffenschmiede ihren Sitz hatten, 
                    war das eifrige Gehämmer verstummt, und auch in der sonst so 
                    geräuschvollen Nadlergasse hatten die Schmiede, Klempner und 
                    Schlosser ihre lärmende Tätigkeit eingestellt. Auch das 
                    eintönige Rufen und Anpreisen der umherziehenden Verkäufer 
                    verschiedener Lebensmittel störte nicht mehr, es lag 
                    vielmehr auf Straßen und Plätzen jene erhabene 
                    Weihestimmung, wie sie eben stets einem großen Jahresfeste, 
                    insbesondere aber dem Weihnachtsfeste, vorauszugehen pflegt.
                    
                    Dafür gab es aber auch mehr Menschen außerhalb ihrer 
                    Behausungen. Der ehrsame Bürger schritt mit Weib und Kind 
                    dahin; die weitfaltigen farbenreichen Kleider standen den 
                    kräftigen Gestalten wohl an. So manche Pflichten gab es an 
                    diesem Tage zu erfüllen, unter denen nicht die geringste 
                    jene war, in den verschiedenen Gotteshäusern durch 
                    erbauliche Andacht die eigentliche Festfeier würdig 
                    einzuleiten. Anderseits mussten auch die verschiedenen Buden 
                    besichtigt werden, besonders jene auf dem Petersplatze vor 
                    der Peterskirche, die freilich damals mit ihren zwei 
                    schlanken Türmen ganz anders aussah denn heute. Da gab es 
                    einen förmlichen Markt, wo Christgaben der verschiedensten 
                    Art zum Ergötzen der kleinen und großen Menschen in reicher 
                    Auswahl feilgeboten wurden. Gar manches Kind betrachtete in 
                    naiver Bewunderung die zierlich geschnitzten Krippen, in 
                    denen das wächserne Figürchen des Jesukindes mit einem 
                    großen Strahlenkranze auf weichem Waldmoose lag, oder die 
                    mit Flimmergold überzogenen Nüsse und Früchte, die so 
                    verlockend ausgebreiteten Schätze aus süßem Lebkuchen in 
                    mannigfachen Formen, oft mit farbigen Zuckerstreifen bunt 
                    bemalt, die niedlichen Christbäumchen, an denen allerliebste 
                    Kringlein und Brezel hingen, oder an anderen Orten die 
                    beliebten Spalten des Dörrobstes, die begehrlich duftenden 
                    und durch ihren schimmernden Glanz lockenden gedörrten 
                    Pflaumen und wie alle die kleinen Herrlichkeiten hießen, mit 
                    denen schon damals die Väter ihren Lieben Freude bescheren 
                    wollten. Da wurde dann eifrig gefeilscht und gekauft, die 
                    Händler hatten alle Hände voll zu tun, um die oft gar 
                    seltsamen Wünsche der Kunden zu befriedigen, und mancher 
                    Packen wurde endlich mit freudestrahlenden Gesichtern 
                    heimgetragen. In dem Gewühle der Bürger sah man nicht selten 
                    die vornehme Gestalt eines Edelmannes, der gern durch seine 
                    prächtige, mitunter kostbar geschmückte Gewandung, Wams und 
                    Ärmel zierlich gepufft und geschlitzt, die Bewunderung der 
                    Leute auf sich zog. Auch unter den Lauben auf dem
                    Hohen Markte gab es verschiedene Laden mit 
                    Weihnachtsherrlichkeiten, und auf dem Fleischmarkte hatten 
                    die Fleischer ihre Braten, gar sorglich ausgeschmückt, zur 
                    Schau gestellt, nicht zu vergessen der Bäcker, die 
                    reichlicher als zu anderer Zeit des Jahres ihre Bäckereien, 
                    die beliebten Stollen und Flecken, die Wecken, Mohnringel 
                    und Salzbrezel angefertigt. Besonders lebhaft ging es auf 
                    dem Hohen Markte zu, der Schranne gegenüber, wo die Fischer 
                    und Krebser ihre heute sehr stark begehrte zappelige Ware 
                    feilhielten, und so manche Hausfrau schritt beglückt von 
                    dannen, wenn es ihr gelungen war, in dem Gedränge einen 
                    stattlichen Karpfen für ihren Familientisch zu erobern.
                    
                    So verging der Morgen, die Glocken verklangen, die 
                    Mittagsstunde brachte den Händlern die ersehnte Erholung. 
                    Doch mit der Vesper kam neuerdings regeres Leben wieder auf 
                    die Straßen. Dazu fing es an, leise zu schneien, bis endlich 
                    in ziemlich dichtem Gewirre die lieben schimmernden 
                    Schneeflocken hernieder tanzten und auf Giebel und Türme, 
                    Straßen und Gassen das weihnachtliche Festkleid legten. Die 
                    Sonne versank eben in rot glühenden Schleiern hinter dem 
                    Kahlengebirge und kündigte mit ihrem Scheiden an, dass nun 
                    bald das liebe Christkindlein seinen großen Gnadenflug 
                    beginnen werde, um all denen, die eines guten Willens seien, 
                    das große Glück des Friedens und der Liebe in das lauschende 
                    Herz zu versenken.
                    
                    Da schritten, wohlvermummt, die weiten Mäntel sorglich um 
                    die Schultern geschlagen, zwei Männer den Kohlenmarkt hinab, 
                    den Tuchlauben und dem Hohen Markte zu; ein großer Mann war 
                    der eine, mit gewichtigen Schritten ausgreifend, und neben 
                    diesem ein kleiner, zierlicher der andere, eilfertig 
                    trippelnd und nur mühsam den Gefährten einholend.
                    
                    "Nun wisst Ihr's, Meister Buff", beendete der alte Pippinger 
                    seine Rede, "heute soll der ersehnte Augenblick kommen. Aus 
                    sicherer Quelle hab' ich es, dass Herzog Leopold des Abends 
                    durch die Stadt reiten werde, um inmitten seiner Wiener das 
                    Weihnachtsfest zu feiern. Mitfreuen will er sich, wenn er 
                    durch die erleuchteten Fenster die Freude seiner Getreuen 
                    inne wird. Ach, er ist ein gar lieber Herr, den uns Gott 
                    noch lange erhalten möge. Da hab' ich mir einen köstlichen 
                    Plan ausgesonnen."
                    
                    "Ach, sagt ihn mir, viellieber Freund, ich will schweigen 
                    wie das Grab." So bat das zierliche Schneiderlein.
                    
                    "Das ist nicht nötig, im Gegenteil, je mehr davon wissen, 
                    desto besser. Nur lasst uns beizeiten das Rathaus erreichen, 
                    wo die Ratsherren alle auf meine Bitte versammelt sind. Da 
                    sollt Ihr alles erfahren."
                    
                    Endlich war das Ziel erreicht, und Meister Buff seufzte tief 
                    auf und wischte den Schweiß von der Stirn. "Gott sei Dank, 
                    dass wir hier sind. Ihr lauft, Gott erbarme sich meiner, 
                    dass es mir völlig den Atem verschlägt, will ich mit Euch 
                    Schritt behalten. Aber so ist es immer, wenn man große 
                    Freunde hat."
                    
                    Pippinger lächelte, schüttelte den Schnee von den Kleidern 
                    und schritt in den Hausflur, um gleich darauf mit seinem 
                    erhitzten Genossen in die hell erleuchtete Ratsstube zu 
                    treten, wo die übrigen Herren bereits versammelt waren. Die 
                    Zeit drängte, und daher begann Meister Pippinger, ohne erst 
                    seinen Rock abzulegen: "Vielliebe Freunde und Genossen im 
                    weisen Rate der Stadt! Wir alle und jeder gute Bürger der 
                    Stadt lieben und verehren unseren gütigen Herzog. Nicht 
                    besser können wir ihm unsere Liebe beweisen, als wenn wir 
                    den heutigen Abend nicht verstreichen lassen, ohne ihm eine 
                    Überraschung zu bereiten, wenn er, wie er meint, ungekannt 
                    und heimlich durch die Stadt reitet. Vor dem Tore zu St. 
                    Stephan wollen wir ihn alle zusammen festlich empfangen und 
                    ihm unsere Geschenke überreichen, jede Innung nach ihrer 
                    Weise. Nehmt den Vorschlag an, Freunde, und denket der 
                    väterlichen Fürsorge, die er stündlich und täglich seinen 
                    Wienern zuteil werden lässt."
                    
                    "So ist's, Meister Pippinger! Prächtig! Die ganze Stadt muss 
                    ihm ihre Huldigung darbringen! Das wird eine wahrhaft selige 
                    Weihnacht!" So klang es von allen Seiten in frohsamer 
                    Erregung, und die Leute schüttelten dem Alten die Hand.
                    
                    "Das habt Ihr gut gemacht!" raunte Meister Buff seinem 
                    Freunde zu. "Doch gedenket unserer Abmachung, Pippinger."
                    
                    "Ich will sie nicht vergessen, wenn der Augenblick günstig 
                    ist." So flüsterte er zurück und laut rief er: "An die 
                    Arbeit, wackere, wohledle Herren, wir müssen uns sputen, 
                    soll alles recht gelingen. Hoch lebe Herzog Leopold!" 
                    Jubelnd stimmten die Bürger in den Ruf ein und verließen die 
                    Stube, die nötigen Anstalten zu treffen. Still lag wieder 
                    das Rathaus da, und der Schnee wirbelte seinen Reigentanz 
                    weiter. Doch allmählich lichtete sich der Himmel, nur 
                    einzelne Flocken tanzten leise hernieder, und als auch diese 
                    verschwunden, lächelte der Mond mit tausend und abertausend 
                    Sternen über die weißen Dächer und wob einen zauberhaften 
                    Schimmer über die glitzernden Schneekristalle.
                    
                    
                    Nun war der Heilige Abend angebrochen. Nur einzelne Wanderer 
                    schritten die Straße entlang, hie und da ein Kriegsknecht, 
                    der ein eigenen Heim vermisste, zugewanderte 
                    Handwerksburschen, denen ein Anschluss noch mangelte, oder 
                    ein Nachtwächter, der mit Partisane, Horn und Laterne 
                    bedächtigen Schrittes seines Amtes waltete. Sie warfen alle 
                    neugierige Blicke auf die Häuser, denn in diesen entfaltete 
                    sich nun ein geschäftiges Treiben. Die kleinen Fensterchen 
                    leuchteten auf. Hinter den zierlichen, in Blei gefassten 
                    Butzenscheiben der vornehmen Häuser, wie hinter den mit Öl 
                    getränkten Pergamentblättern oder den Scheiben von 
                    Marienglas der ärmeren Hütten ward es mit einem Male hell. 
                    Öllämpchen und Kerzen wurden angezündet, und um ihren 
                    trauten Schein versammelte der Hausvater seine Lieben. Da 
                    gab es Freude und Jubel überall. Er klang bis auf die 
                    stillen Straßen hinaus, frohsames Jauchzen hier, heller 
                    Kindergesang dort. Der Weihnachtsengel hatte seinen 
                    beglückenden Flug unternommen und selige Stimmung über Wien 
                    verbreitet.
                    
                    Da öffneten sich die Tore der neuen Herzogsburg, die erst 
                    vor kurzem nicht weit vom Kohlenmarkte erbaut worden war, 
                    und über die Zugbrücke, die den Burggraben überdeckte, 
                    ritten mehrere Reiter. Es war Herzog Leopold mit einigen 
                    seiner ritterlichen Freunde. Er saß auf einem prächtigen, 
                    blühweißen Rosse, das mit purpurrotem Lederwerke aufgezäumt 
                    war. Gebiss und Steigbügel schimmerten golden im hellen 
                    Mondschein. Der Herzog trug ein helles, enganschließendes 
                    Wams, dem vorn auf der Brust das Wappen der Babenberger 
                    kunstvoll eingestickt war, ebensolche enganliegende 
                    Beinkleider, und die Füße staken in Schuhen, die kostbares 
                    Pelzwerk verzierte. Ein mit Hermelin verbrämter Purpurmantel 
                    floss in weiten Falten von den Schultern nieder, und auf dem 
                    Kopfe saß ein köstliches Barett, von weichem Pelzwerk 
                    umrandet und geschmückt mit roten und weißen Straußenfedern. 
                    Über der Brust funkelte die herrliche Herzogskette, und an 
                    der Seite hing das mit köstlichen Edelsteinen besetzte 
                    Schwert. Das von langen Locken umwallte Gesicht des Herzogs, 
                    aus dem die lieben gütigen Blauaugen blitzten, drückte eine 
                    heitere Freude aus, wie er jetzt in die hell erleuchteten 
                    Fenster seiner getreuen Wiener blickte. Er mäßigte den 
                    Schritt seines feurigen Rosses, denn er wollte gemächlich 
                    die Freude seiner Untertanen schauen. Da wandte er sich an 
                    seinen nächsten Begleiter.
                    
                    "War es nicht ein guter Gedanke von mir, lieber Hademar von 
                    Kuenring! Sagt es selbst. Gibt es etwas Köstlicheres als 
                    Eintracht und Frieden unter den Menschen und zu sehen, 
                    welche Wunder sie wirken?!"
                    
                    "Bei Gott, Herr, Ihr habt recht!" stimmte dieser zu. 
                    "Wunderlich genug schlägt mir altem Kriegsmanne das Herz 
                    unter dem Panzer, da ich den Segen Eurer Liebe staunend 
                    betrachte. Wahrhaftig, der Wiener hat Ursache genug, Euch zu 
                    lieben und Eure milde Hand zu preisen."
                    
                    "Daran lassen es meine guten Wiener nicht fehlen, es ist, 
                    als wollten sie mit ihrer Liebe mir Ersatz dafür bieten, 
                    dass ich von anderer Seite Leid und Kümmernis genug erdulden 
                    muss."
                    
                    "Ach, Herr, gedenkt in dieser Stunde dessen nicht; begütigte 
                    der Ritter den Herzog, als ahnte er dessen aufsteigenden 
                    Schmerz.
                    
                    "Und sollte ich es nicht, gerade zu dieser Zeit? Schaut nur 
                    um Euch! Hält nicht jeder Vater sein Kindlein umschlungen in 
                    überwallender Herzensfreude? Wie weh muss es mir sein, zu 
                    wissen, dass fern von mir ein missratener Sohn dem Vater 
                    grollt. Ach, Heinrich, welchen Schmerz bereitest du mir 
                    heute?!"
                    
                    "Grämt Euch nicht, Herzog, noch ist er kein verlorener Sohn. 
                    So manches Herz, das in brausendem Zorne aufgeschrien und 
                    vermeintliche Fesseln zerrissen, schlägt wieder guten Sinnes 
                    und mild, wenn die Zeit reiferes Verständnis gebracht."
                    
                    "Gott gebe es, doch habe ich selbst die Hoffnung verloren."
                    
                    Bekümmert schloss der Herzog die Rede und versank in stilles 
                    Träumen, indes er dem Rossmarkte zuritt.
                    
                    Aber Herzog Leopold war nicht unbemerkt geblieben. Das 
                    Gepolter der Rosseshufe in stiller Nacht, das Geklirre der 
                    Waffen wie des Rüstzeuges der Tiere hatte doch Aufsehen 
                    erregt. Manch Fenster öffnete sich, und manch neugieriger 
                    Kopf forschte nach der Ursache des Lärmens auf der Straße. 
                    Die Leute erkannten den geliebten Landesfürsten und eilten 
                    trotz des Abends auf die Straße und begrüßten den Herzog mit 
                    lauten Zurufen. Mit einem Male war es in den öden Straßen 
                    wieder lebendig geworden. Von des Herzogs Stirn war die 
                    düstere Wolke des Unmutes wie verflogen, als er bemerkte, 
                    wie die Schar sich immer vergrößerte und endlich von allen 
                    Fenstern und Türen ihm die Leute zuwinkten und zujubelten. 
                    Nur langsam vermochte er in dem förmlichen Gedränge vorwärts 
                    zu kommen, das ihm auf seinem Umzuge zu folgen schien. Eben 
                    wollte er zur Stephanskirche nach links abbiegen, als er 
                    unwillkürlich den Schritt seines Rosses hemmen und anhalten 
                    musste. Ein überraschender Anblick bot sich seinen 
                    erstaunten Blicken dar, einzig in seiner Art, ein Bild, wie 
                    es selbst seine Augen noch nie erschaut. Eine Volksmenge, so 
                    weit sein Auge reichte, Kopf an Kopf, groß und klein, arm 
                    und reich, füllte den Platz und vor derselben, im Halbkreise 
                    aufgestellt, die vornehmsten Bürger der Stadt, welche auf 
                    bunten Polstern in flachen Reisigkörben kostbare Geschenke 
                    trugen. Ihnen zur Seite standen minnigliche Jungfrauen, 
                    selbst kleine Knaben und Mädchen und hielten zierliche, mit 
                    Bändern und Lichtern geschmückte Tannenbäumchen in den 
                    Händen. Und längs der Häuser standen Männer mit mächtigen 
                    Kienfackeln, deren rotes Geflacker einen magischen Glanz auf 
                    die vielen Gestalten warf.
                    
                    Als der Herzog sichtbar geworden, da brach die Menge in den 
                    vieltausendstimmigen Ruf aus: "Hoch lebe Herzog Leopold! 
                    Hoch! Hoch! Hoch!" Des Jubelns wollte kein Ende nehmen, und 
                    von allen Fenstern, Giebeln und Erkern winkten Jungfrauen 
                    und Kinder mit wehenden Tüchlein und Fähnlein zu. In tiefer 
                    Erregung sah Herzog Leopold auf das bunte Gewoge. Er war ob 
                    dieser Überraschung seiner Wiener keines Wortes mächtig. 
                    Einen stummen, aber beredten Blick warf er auf seinen 
                    Begleiter, der ihm lächelnd zuwinkte, als wollte er sagen: 
                    Sehet, wie der liebe Gott Euer Leid vergessen macht. Da trat 
                    der greise Pippinger vor, entblößte sein Silberhaar und 
                    winkte. Sofort verstummte das Freudengeschrei, und tiefe 
                    Stille trat an dessen Stelle. Es war ein erhabener 
                    Augenblick.
                    
                    Sich vor dem Herzog verneigend, hub er an:
                    
                    "Hochedler Herzog, gnädigster Landesfürst! Als wahrer Vater 
                    sorgt Ihr voll Huld und Gnade für Eure Untertanen und teilet 
                    gern deren Leiden und Freuden. Seht um Euch, hoher Herr, und 
                    empfanget des heißesten Dankes Zoll aus allen Blicken. 
                    Nehmt, glorreicher Herzog, die schlichten Gaben Eurer 
                    Wiener, die sich in liebender Treue hier vereinigten, als 
                    ein geringes Zeichen ihrer Dankbarkeit. Gott gebe es, dass 
                    Ihr und Euer Geschlecht noch lange uns regiert. Wir bieten 
                    Euch ehrfurchtsvoll fröhlichen Weihnachtsgruß! Heil, Herzog 
                    Leopold!" Und wieder stiegen brausende Rufe zum nächtlichen 
                    Sternenhimmel empor, und die Leute drängten herzu, die Hand 
                    des gütigen Herzogs zu küssen, den Saum seines Gewandes zu 
                    berühren, den milden Blick aus seinem Auge zu empfangen.
                    
                    Eine mächtige Bewegung hatte das Herz des Fürsten erfasst. 
                    Tränen der Rührung waren in seine Augen gedrungen, und 
                    schmerzlich bewegt zuckte es um seine Lippen. Vordem in 
                    herbes Vaterleid versunken und nun so hehre Vaterfreude! Er 
                    konnte nur mühsam seiner Ergriffenheit Herr werden. In 
                    herzlicher Freude betrachtete er die vielen Gaben, die man 
                    ihm auf so sinnige Weise dargeboten. Und als er endlich 
                    halbwegs wieder seine Fassung gefunden, da war sein Herz 
                    übervoll der Gnade. Auf seinen Wink lauschte die Menge.
                    
                    "Meine wackeren Wiener Bürger! Nehmt meinen fürstlichen 
                    Dank, ihr, meine Getreuen! In opfernder Liebe vergeltet ihr, 
                    was ich zu geben allzeit bemüht war. Merket, nicht die Gabe 
                    ist es, die so erfreut, nein, der gute Sinn, der die Herzen 
                    edelt. Zum Angedenken an diesen schönen Tag der Liebe will 
                    ich euch auf der Stelle eine Bitte gewähren, so ich es 
                    vermag und meine Kräfte reichen."
                    
                    Da jubelte ihm abermals das Volk zu, und lautes 
                    Stimmengewirr machte sich geltend. Da trat neuerdings 
                    Meister Pippinger, nachdem er mit seinem Freunde Buff einen 
                    bedeutungsvollen Blick gewechselt, vor und sprach in tiefer 
                    Erregung, jedes seiner Worte mit fester Kraft betonend:
                    
                    "Gütiger Herzog! Eure Huld allein ist uns der Freude genug, 
                    um Euch anzuhängen in treuer Ergebenheit für alle Zeiten. 
                    Doch da Ihr eine besondere Gnade uns erweisen wollet, so sei 
                    Euch ein schweres Anliegen kund, das unsere Herzen längst 
                    arg belastet. Nehmt uns Wiener in Schutz vor den Fremden, 
                    den Flandrensern und welschen Gewerbsleuten, die uns schwer 
                    beeinträchtigen. Gewähret uns die Gnade, die ausstehenden 
                    Schuldsummen eintreiben zu dürfen, und unterstützt dies 
                    durch Euer Machtwort, da dies uns allein nur schwerlich 
                    gelingen dürfte. Dann wäre uns geholfen!"
                    
                    Meister Buff, den es bei seinen Freunden nicht litt und der 
                    gern schon längst der Ehre hatte teilhaftig werden wollen, 
                    mit dem Herzog selbst zu sprechen, gesellte sich zu dem 
                    Sprecher und rief bekräftigend, wobei er seine kleine 
                    Gestalt hoch aufrichtete: "So ist es, hochedler Gönner! Dann 
                    ist uns geholfen!" Und zu seinem Freunde gewendet, flüsterte 
                    er diesem zu: "Das war ein Wort zu rechter Zeit! Die Bürger 
                    werden es Euch gedenken!"
                    
                    Da sprach der Herzog, wobei ihm allerdings die scheelen 
                    Blicke der Münzer insbesondere nicht entgingen: "Wohlan, es 
                    sei! Ich verpfände euch mein fürstliches Wort! Für morgen 
                    bescheide ich den Rat der Stadt in meine Burg, da möget ihr 
                    eure Briefe und Forderungen vorlegen, und ich will sehen, 
                    was ich vermag. Nun lasst uns weiterziehen."
                    
                    Da ordnete sich im Nu ein gar seltsamer Zug vor den 
                    staunenden Blicken des Herzogs. Erst kamen die Kinder und 
                    Mädchen mit den geputzten Bäumlein, dann folgen die 
                    verschiedenen Innungen: die Bäcker in ihrer kleidsamen 
                    weißen Tracht mit den Ciphen, Kringeln, Brezeln, Wecken und 
                    Fladen, dann die Kaufleute mit kostbaren Gewürzen, Zendal 
                    und Seidenzeug, dann die Wildwerker mit seltenem Pelzwerke, 
                    Hermelin und Blaufuchs, dann folgten die Tuchscherer mit 
                    schöngefärbter Watte, blauen und roten Tuchballen, hierauf 
                    die Waffenschmiede mit glänzendem Rüstzeuge, Helmen und 
                    Schwertern; endlich die reichen und hochangesehenen und 
                    deshalb mit neidischen Blicken betrachteten Münzer, die 
                    köstliche Goldgefäße trugen, Becher und Krüge, auf Tassen 
                    Silber- und Goldringe und neugeprägte Goldmünzen, und diesen 
                    folgten die Fleischer, die prächtige Rinder, Kälber und 
                    Schafe, alle mit Reiswerk und Bändern geschmückt, an kurzen 
                    Seilen führten. Dann schwenkte Herzog Leopold mit seinen 
                    Rittern ein, gefolgt von den übrigen Bürgern und Ratsherren. 
                    Der Zug bog in die Wollzeile ein, eine damals neue Straße, 
                    lange die schönste Wiens, wandte sich dann der 
                    Traibotenstraße zu, kreuzte die Karrnerstraße und kam wieder 
                    über den Rossmarkt und Kohlenmarkt zur neuen Herzogsburg 
                    zurück. Während des Rittes wollte des Jubelns kein Ende 
                    nehmen, überall dieselben Rufe der Freude, überall dieselbe 
                    Liebe: Der Umzug war im vollsten Sinne des Wortes ein Zug 
                    der Liebe, des wärmsten und edelsten Triumphes.
                    
                    Der Herzog hielt sein Versprechen und sorgte, dass die 
                    Wiener wieder zu ihren Rechten kamen. In herzlicher 
                    Dankbarkeit aber, die sie dem Manne entgegenbrachten, der es 
                    verstanden hatte, zu rechter Zeit dem Herzog ein rechtes 
                    Wort zu sagen, nannten sie die Straße, wo ihr Fürsprecher 
                    wohnte, die Pippingerstraße und erhielten dadurch noch durch 
                    viele Jahrhunderte das Andenken rege an Leopolds ersten 
                    Weihnachtsritt.
Quelle: Die schönsten Sagen aus Wien, o. A., o. J., Seite 28, Bilder: Peter Gugerell, gemeinfrei und GuentherZ unter der Lizenz CC BY-SA 3.0.
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