Als der einst so berühmte Doktor Theophrastus Paracelsus
noch ein Student war, hatte er ein gar seltsames Erlebnis.
Er ging eines Tages in einem Walde spazieren und sammelte
allerlei heilbringende Pflanzen und Kräuter. Ermüdet setzte
er sich unter einer mächtigen Tanne nieder, um auszuruhen.
Plötzlich hörte er in seiner Nähe ein Stöhnen und Klagen,
und eine herzzerreißende Stimme rief: "Hilf mir! Ach hilf
mir!"
Theophrastus sprang auf, sah rings um sich, konnte aber den
Rufenden nicht entdecken. "Wie kann ich dir denn helfen,
wenn ich dich nicht sehe und nicht weiß, wer du bist und wo
du steckst?" sagte Paracelsus unwillig. "Ich bin",
antwortete die unbekannte Stimme, "der Böse, und ein
Geisterbanner hat mich in ein Loch dieses Stammes
hineingezwängt und ein Zäpflein davor geschlagen, so dass
ich nicht heraus kann. Ach, befreie mich, sonst muss ich bis
an den Jüngsten Tag in diesem dunklen Gefängnisse
schmachten!"
"Von mir aus kannst du eine Ewigkeit in dem Stamme
eingeschlossen bleiben, wenigstens richtest du auf der Welt
nicht mehr soviel Unheil an wie bisher."
"Befreie mich! Ach, befreie mich! Ich gebe dir alles, was du
nur verlangst", jammerte ängstlich der Böse. "Ich erfülle
dir alle deine Wünsche, und du musst mir dafür nicht einmal
deine Seele verschreiben."
"Das ist einmal ein vernünftiges Wort", erwiderte
Paracelsus. "Höre also, was ich verlange: Erstens wünsche
ich eine Arznei, mit der ich alle Krankheiten heilen kann,
zweitens eine Tinktur, womit ich alles, was ich will, zu
Gold verwandeln kann."
"Gut, deine Wünsche sind erfüllt", sagte der Teufel.
Paracelsus nahm sein Messer aus der Tasche und kratzte so
lange um das Zäpfchen herum, bis er es leicht herausziehen
konnte. Kaum war es aus dem Stamme, so kroch aus dem Loche
eine kohlschwarze Spinne, die sich im Augenblicke in einen
großen, hageren Mann mit rotem Mantel, Degen und roter
Hahnenfeder verwandelte.
"Komm mit mir!" rief der Teufel mit grinsender
Freundlichkeit. Theophrastus folgte der Aufforderung. Bei
einem Felsen hielt der Böse an und schlug mit seinem Degen
heftig an denselben.
Das Gestein spaltete sich augenblicklich, der Teufel ging
durch die klaffende Öffnung hinein und erschien bald wieder,
in jeder Hand ein Fläschchen haltend: "Hier", sagte er,
"diese gelbe Flüssigkeit ist die Goldtinktur, diese in
meiner linken Hand ist die Wunderarznei; beide Fläschchen
werden zeitlebens nicht leer, wenn du auch noch soviel von
den Flüssigkeiten verbrauchst." Er reichte dieselben dem
Theophrastus, dann sprach er: "Jetzt habe ich aber noch ein
Geschäft abzumachen, ich hole mir den Geisterbanner, der
keinen Ahnung hat, dass ich wieder los bin."
Sie gingen nun wieder zurück und gelangten zu der Tanne, wo
der Teufel vor kurzem noch stak.
Paracelsus, den der Geisterbanner dauerte, dachte nach, wie
er denselben den Klauen des Teufels entreißen könne; in
kurzer Zeit war der Plan hiezu ersonnen.
Er gedachte der Eitelkeit des Teufels zu schmeicheln und ihn
dadurch zu überlisten. "Es ist doch wunderbar", so nahm er
das Wort, "dass Ihr Euch in so ein kleines Tier, wie es eine
Spinne ist, verwandeln könnt; das ist ein wahres
Meisterstück, das Euch so schnell niemand nachtut. Hätte ich
es nicht mit meinen eigenen Augen gesehen, ich würde nicht
glauben, dass so etwas möglich sei. Man nennt Euch wirklich
mit Recht den Meister der Schwarzkünste."
Der Teufel ging in die Falle und rief geschmeichelt: "Es
gibt wahrlich nichts Leichteres, als sich in ein kleines
Tier zu verwandeln; mich kostet es gar keine Mühe, es ist
mir reiner Spaß; ich tu' es, so oft du willst."
"O ich bitte Euch! Zeigt mir nur einmal noch dieses
Kunststück", drängte Paracelsus.
"Sehr gerne, da schau!" - Im Nu war er die schwarze Spinne
und kroch an dem Baum hinan in das Loch.
Schnell sprang Theophrastus hinzu, steckte das Zäpflein vor
das Loch, schlug es fest in den Stamm und schnitt ein Kreuz
in dasselbe. Der dumme Teufel war nun wieder gefangen, das
eingeschnittene Kreuz aber verhinderte ihn, auch nur einen
Laut der Klage auszustoßen, und wenn der Blitz den Baum
nicht etwa gespalten hat, so sitzt er heute noch darinnen.
Paracelsus aber ging vergnügt von dannen, da er dem Teufel
ein Schnippchen geschlagen hatte. Er wurde später einer der
berühmtesten Ärzte und hat durch seine Wundertinktur viele
Kranke und durch sein Goldwasser viele Arme geheilt.
Quelle: Die schönsten Sagen aus Wien, o. A., o. J.,
Seite 272.
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