Wissen - Krise stoppen
Jeder Läufer kennt das Phänomen von Einbrüchen in bestimmten
Phasen eines Laufes. Die Füße werden schwer, der Atem unregelmäßig, der
Laufrhythmus scheint nicht mehr zu stimmen, auch die Koordination von Atmung und
Schritt scheint verloren gegangen zu sein. GERNOT SCHAUER Marathon Laufsport
Manchmal folgt ein konstanter Leistungsabfall den weiteren Bewerb hindurch,
manchmal wird ein derartiges Tal überwunden und das angestrebte Leistungsniveau
wieder erreicht. Neben physischen Schwankungen beeinflussen psychische
Determinanten die Leistungskurve mit. Oder anders ausgedrückt: werden
vermeintliche körperliche Leistungsschwankungen mitunter durch innerpsychische
Vorgänge verursacht. Die vordergründige Frage ist in Bezug auf die Leistung bei
allen Sportlern (egal, um welche Sportart es sich handelt) dieselbe: Was ist
mein optimaler Leistungszustand? Die Antwort variiert selbstverständlich erstens
Sportartspezifisch und zweitens auch je nach Persönlichkeit. Nach diesem Prinzip
ist auch klar, dass Sie sich unterschiedlich auf diverse Distanzen einstellen
müssen: Ein 5-Kilometer-Lauf stellt andere Ansprüche an Sie als eine
10-Kilometer-Strecke, ein Halbmarathon oder die klassische Marathonstrecke.
Diesbezüglich drängt sich die Frage auf, ob Sie sich bereits darüber Gedanken
gemacht haben, welcher für Sie der auf die Distanz bezogene optimale innere
Leistungszustand ist.
Nachteilig: Kurzfristige Taktikänderung Als regelmäßiger Leser von Fachliteratur
zum richtigen Laufen wissen Sie selbstverständlich darüber Bescheid, dass das Um
und Auf einer guten Leistung auf längeren Strecken die richtige Einteilung der
Laufgeschwindigkeit ist. Auch kennen Sie die Vorwarnungen, dass Sie auf keinen
Fall zu schnell beginnen sollten, um das Ziel auch tatsächlich erreichen zu
können. Womöglich haben Sie es selbst bereits am eigenen Leib erfahren, dass Sie
bei so manchen Starts all Ihre taktischen Vorhaben wegwarfen und zu schnell
losliefen. Die Ursache für dieses ?Fehlverhalten" ist auf emotionaler oder
kognitiver Ebene (das heißt einstellungsbezogen) zu suchen, wie folgendes
Beispiel verdeutlicht:
Ein Hobbyläufer trainiert seit drei Jahren regelmäßig zumindest fünfmal in der
Woche und nahm auch bereits an einigen Läufen mit maximaler Distanz eines
Halbmarathons teil. Nun steht die Königsdisziplin am Programm, die gezielte
Vorbereitung der letzten Monate galt dem Marathon. Der Läufer erhielt von einem
sportmedizinischen Institut auf Basis einer Leistungsdiagnostik ein darauf
abgestimmtes Trainingsprogramm. Die individuelle taktische Marschroute ist sehr
simpel festgelegt, da es wie gewohnt um eine gleichmäßige Aufteilung der
vorgenommenen Zeit handelt. Der Läufer hat befolgt, was ihm von diversen
Fachpersonen in individueller Beratung oder auch via Literatur empfohlen wurde.
Nun kommt der Läufer zu der obligaten Pastaparty am Vorabend des Marathons und
unterhält sich mit anderen Sportlern, die ebenfalls die 42 Kilometer am nächsten
Tag in Angriff nehmen werden. Es wird über die diversen Ziele des bevorstehenden
Marathons gesprochen, vielleicht das eigene etwas höher gegenüber anderen
geäußert, als man es sich selbst in der Vorbereitung gesteckt hat. Der Läufer
geht von der Party weg und legt sich schlafen, ist mit sich, seinen Gedanken und
Gefühlen alleine. Die Nervosität hat sich im Laufe des Abends leicht gesteigert,
das Einschlafen wird dadurch zwar etwas verzögert, dennoch schläft der Läufer
gut durch. Er wacht am nächsten Tag auf, es ist keine außerordentliche
Nervosität vorhanden. Es beginnen die letzten Vorbereitungen inklusive
Einlaufen. Der Läufer baut nun sukzessive eine Konkurrenzstimmung zu den anderen
Läufern auf, während er diese bei deren Vorbereitungen beobachtet. Der
Startschuss löst ?unverhofft` das Hochkommen eines inneren Antriebes aus, wie
verrückt loszulaufen. Die lange vorbereitete Taktik und das systematische
Aufteilen der Zeit ist zunichte gemacht. Der Läufer denkt die ersten paar
Kilometer nicht daran, dass er zu schnell ist, sondern verspürt einfach einen
inneren Willen, so rasch wie möglich zu laufen, als handelte es sich nicht um
42, sondern bestenfalls um 4,2 Kilometer. Die Kraft schwindet, das Bewusstsein
für den gemachten Fehler tritt ein. Der Läufer zollt dem Anfangstempo Tribut und
quält sich fernab der angestrebten Zeit ins Ziel. Dieses Beispiel eines
ambitionierten Hobbyläufers beinhaltet einige kritische Punkte, wie sie auch bei
erfahrenen Athleten auftauchen können. Einige dieser Phänomene, die das
Laufverhalten mit beeinflussen, werden im Folgenden aufgelistet:
Emotionen können unreflektiert zu einer unerwünschten Verhaltensänderung führen.
Auf einen bestimmten Reiz (im obigen Beispiel die Atmosphäre beim Start) folgt
eine bestimmte, an Gefühle gebundene Reaktion (Beschleunigung des Tempos), ohne
diese wahrzunehmen. Die Ursachen, weshalb bestimmte Reize mehr oder weniger
?emotionalisierend" wirken, sind genauso mannigfaltig wie die Reize selbst.
Beispielsweise kann das Überholt-Werden von einem Trainingspartner Zweifel an
der eigenen Person aufkommen lassen. Diese Selbstzweifel führen in der Folge zu
einem Leistungsabfall, beides wird nicht wahrgenommen
Viele unserer Handlungen werden unbewusst gesteuert, es ist unmöglich, alles Tun
dem Bewusstsein zu unterziehen.
Wenn-Dann-Problematik: Durch diverse Erlebnisse werden individuell geltende
Ursache-Wirkung-Regeln aufgestellt und das Gesamtverhalten inklusive
Leistungshandlung darauf abgestimmt. Derartige Regeln können sein: ?Wenn es über
25 °C Außentemperatur hat, dann ist für mich das Rennen gelaufen. Ich kann
während des Laufens nicht trinken." Eine derartige Regel wird ab dem Moment
bestätigt, wo das Thermometer auf 25,1 °C steigt. Innere Panik tritt wegen der
angezeigten Temperatur ein, die Erfüllung der Regel nimmt ihren Lauf...
Die eigene Erwartungshaltung kann zu Krisen führen: Ein routinierter
Marathonläufer weiß beispielsweise, dass die Krise zwischen Kilometer 31 und 34
ist, weil sie jedes Mal zu diesem Abschnitt wiederkehrt. Der Läufer ist sich
dieser Tatsache bewusst und die ganze Konzentration wird ab Kilometer 30 auf die
kommende Krise gelegt. Wenn dann endlich" Kilometer 31 beginnt, wird alle
Aufmerksamkeit darauf gerichtet, in der eigenen Verfassung die Krise zu
erkennen. Obwohl sich die körperliche Verfassung nicht wesentlich zu den
vorherigen Kilometern geändert hat, wird der eigene Zustand plötzlich als
bleiern und schwer wahrgenommen. Ganz im Sinne der Erfüllung der eigenen
Erwartungshaltung.
Die Liste von möglichen Krisenherden während eines Laufes ließe sich endlos
fortsetzen, nun aber zu Tipps, wie diesen vorgebeugt werden kann:
Versuchen Sie sich Ihre Gefühle und Einstellungen, die vor und während eines
Laufes aufkommen, bewusst zu machen. Wie geschildert, liegt die größte
Problematik darin, dass viele Vorgänge unbewusst ablaufen und somit keiner
Veränderung unterzogen werden können.
Lassen Sie im Sinne des genannten Punktes einige Ihrer letzten Läufe Revue
passieren und beantworten Sie folgende Frage: Unter welcher Stimmung habe ich
bessere und unter welcher schlechte Leistungen erbracht?
Wie bereits geschildert, lösen aufgestellte Wenn-Dann-Regeln Krisen aus. Die
Aufmerksamkeit wird lediglich darauf gerichtet, wie sich die Regel immer wieder
bestätigt. Versuchen Sie, derartige Ursache-Wirkung-Prinzipien zu finden und
suchen Sie anschließend nach Möglichkeiten, diese Ketten zu durchbrechen.
Beispielsweise: Ich ändere meine Einstellung so um, dass ich mich bereits auf
die Kilometer 31 bis 34 freue, da sie das Erreichen des letzten
Streckenabschnittes signalisieren. Oder Sie suchen selbst erlebte Gegenbeispiele
aus der Vergangenheit, in denen die betreffende Regel widerlegt wurde.
Konzentrieren Sie sich während des Laufes ab und zu für kurze Momente auf Ihren
Körper, wie beispielsweise die Koordination von Atem- und Schrittrhythmus. Es
besteht die Gefahr, dass Sie wegen zu hoher Aufmerksamkeitslenkung nach außen
(wie schnell sind die anderen?) vergessen, auf Ihre eigene Verfassung zu achten.
Finden Sie bezüglich des Anforderungsprofils charakteristische Merkmale
einzelner Laufdistanzen als Vorbereitung auf die jeweiligen Läufe: Wo liegen
Ihre Stärken und Schwächen und was können Sie tun, um die erfassten Schwächen zu
reduzieren?

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